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Steuern und Gerechtigkeit – eine Illusion?

Wenige Themen bewegen so viele Menschen wie das Thema “Steuern und Gerechtigkeit”. Auf den ersten Blick scheint es eine klare und leicht umsetzbare Forderung zu sein. Die Steuerbelastung soll gerecht verteilt sein, jeder soll gleich belastet werden. Ich kann es vorweg nehmen, es ist eine Illusion, dass es ein System gibt, das diese Forderung für alle erfüllt. Egal wie man das Steuersystem ausgestaltet, es wird sich immer eine Gruppe von Steuerzahlern ungerecht behandelt fühlen.

Dabei ist die Basis für die Steuergerechtigkeit schon in der Bundesverfassung festgehalten. Art. 8 der BV fordert die Rechtsgleichheit aller Schweizer Bürger und daraus abgeleitet wird die Forderung nach steuerlicher Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen.

Nur, wie setzt man das in der Praxis um?

Muss wirklich jede Person Steuern zahlen (z.B. auch ein Sozialhilfeempfänger), und wenn ja, auf jedem Geldzufluss (z.B. auch auf Schenkungen?) und zu welchem Prozentsatz des Vermögenszuganges (flat rate tax oder progressive Besteuerung)? Sollen spezielle Ausgaben (Kinder in Ausbildung, Krankheitskosten, langer Arbeitsweg etc.) berücksichtigt werden?

In der Gesetzgebung und Rechtsprechung haben sich Grundsätze, wie “Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung”, “Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit”, “Wettbewerbsneutralität der Besteuerung” aber auch der Grundsatz der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie herausgebildet. Diese hehren Grundsätze prallen in der praktischen Umsetzung immer wieder auf viele Problembereiche.

Die grössten Schwierigkeiten ergeben sich aus den Fragen zum “richtigen” Tarif und zu den möglichen Abzügen. Dem Prinzip des “Zehnten” entnommen ist die sogenannte Flat Rate Tax. Danach wird jedermann zum gleichen Steuersatz besteuert. D.h. bei einem Steuersatz von 20 % zahlt derjenige mit CHF 50’000 Einkommen CHF 10’000 an Steuern, derjenige mit CHF 500’000 Einkommen zahlt CHF 100’000 an Steuern. Gerecht? Schliesslich zahlt derjenige mit dem 10 mal höheren Einkommen auch 10 mal mehr an Steuern.

Für Viele ist das nicht gerecht. Sie verweisen auf den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Danach sollen die höheren Einkommen auch prozentual mehr belastet werden (progressiver Steuersatz). Es bleibe denjenigen mit höheren Einkommen immer noch mehr und es soll beiden gleichmässig “weh” tun.

Der Tarif der direkten Bundessteuer ist progressiv aufgebaut. So beträgt dort der Steuersatz (ledig, ohne Kinder) im obigen Beispiel bei CHF 50’000 Einkommen 0.9 % (CHF 445 an Steuern). Bei CHF 500’000 Einkommen jedoch schon 10.6 % (CHF 53’162)! Nicht 10 mal mehr, sondern ca. 120 mal mehr an Steuern. Die Progression hat aber insbesondere zwei Nachteile:

Erstens: Mehrleistung wird bestraft

Ein einfaches Beispiel: Ein lediger Berner arbeitet 80 % und verdient CHF 80’000. Er bezahlt Gesamtsteuern von CHF 17’362. Wenn er nun auf ein 100 % wechselt und damit CHF 100’000 verdient, erhöht sich seine Belastung auf CHF 23’768. Von den zusätzlich verdienten CHF 20’000 gibt er somit CHF 6’406 ab. Soll er da wirklich mehr leisten? Dabei ist diese Mehrbelastung von 32 % noch moderat. Erhöht er sein Einkommen von CHF 200’000 auf CHF 300’000 beträgt die Mehrbelastung CHF 42’034, was 42 % des Mehreinkommens entspricht. Es bleiben ihm somit “nur” CHF 58’000. Ist das nicht leistungshemmend und dadurch ungerecht?

Zweitens: Irgendwo hört jede Progression auf

Spätestens bei 100 % (was nicht vorkommen darf, da die Steuer nicht in die Eigentumsgarantie eingreifen darf). Und wo die Progression “flach” wird, ist sie wieder Flat Rate Tax. Wo ist aber diese Grenze zu setzen? Jede Grenze ist hier willkürlich. Wenn der höchste Steuerprozentsatz z.B. bei CHF 300’000 Einkommen erhoben wird, dann hat derjenige, der mehr verdient, keine weitere Progressionsstufe mehr, obwohl er wirtschaftlich Leistungsfähiger ist. Also kann man das Prinzip gar nicht konsequent durchziehen. Zudem führt die Progression auch zur sogenannten Heiratsstrafe, da bei Ehepartnern die Einkommen zusammengerechnet und damit höher besteuert werden.

Zu guter Letzt die Abzüge:

Ein schwieriges Thema. Weiterbildungsabzug, Fahrkosten, Unterstützungsabzüge, Krankheitskosten, Liegenschaftsunterhalt etc. bescheren den Steuerverwaltungen und Gerichten viel Arbeit.

Stellvertretend für viele Abzüge kann man die Kosten des Arbeitsweges nehmen. Einige Staaten gewähren diesen Abzug nicht. Die Begründung ist, dass es sich um reine Lebenshaltungskosten handle, die grundsätzlich nicht abzugsfähig sind (wie Ferien, Freizeitvergnügen etc.). Es sei eine private Entscheidung, wie weit weg man vom Arbeitsort wohne.

In Randregion, wo man von den Leuten eine “gewisse Mobilität” bei der Arbeitsplatzsuche verlangt, teilt man diese Auffassung jedoch nicht. Dort wird es als nicht gerecht angesehen, dass diejenigen, die gleich neben dem Arbeitsplatz wohnen, gleich viel Steuern bezahlen wie diejenigen mit hohen Pendler-Kosten. Mit der FABI-Vorlage wurde der Abzug nun nach oben begrenzt (CHF 3’000 bei den Bundessteuern) und einen Mittelweg beschritten, der das Dilemma jedoch nicht löst. So folgen nicht alle Kantone dieser Variante.

Das führt mich wieder zum Anfang

Eine Vereinfachung des Steuersystems (Bierdeckel-Steuererklärung) würde das Problem auch nicht lösen. So werden wir weiter in Einzelfragen des Steuersystems nach Gerechtigkeit suchen und uns verheddern (siehe Ehepaarbesteuerung). Es bleibt zu hoffen, dass wir möglichst nahe ans Ideal kommen, ganz schaffen wir es nie.

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